Heuhaus, Brennhütte und danach Wohngebäude - schon 1842 erwähnt

08.10.2021

Die überraschende 180-jährige Geschichte des kleinen Herzenhäusles - Abbruch vorerst aufgeschoben -

Die östliche Fassade.zoom
Die östliche Fassade.

Mühlacker-Lienzingen. Das Herzenhäusle hat eine reichere Geschichte als ursprünglich gedacht, lässt Stadtrat Günter Bächle den Mühlacker Oberbürgermeister Frank Schneider wissen. Dieses Gebäude unter der Adresse Friedenstraße 26/1 dürfte demnach früher gebaut worden sein als im zuerst genannten Jahr 1867. Der CDU-Fraktionschef zitiert in einer Mitteilungsowie auf seiner Webseite die Mühlacker Stadtarchivarin Marlis Lippik, wonach sie in den alten Listen der Feuerversicherung auf weitere, überraschende Spuren gestoßen sei: Es war Heuhaus, Brennhütte und danach Wohngebäude, das seit Jahren leer steht. Der OB ließ den Abbruch vorerst aufschieben, denn das kleine Haus wird erstmals 1842 genannt.

Marie Herz - nach dieser letzten Bewohnerin heißt das marode Gebäude am Bachweg im Volksmund Herzenhäusle.  Jetzt soll es im Laufe des Jahres 2021 abgebrochen werden, steht in der Antwort der Stadtverwaltung auf die Bächle-Anfrage im Gemeinderat. Die Vorbereitung zur Angebotseinholung läuft, so vor Wochen das Fachamt. Im Lichte der neuen Erkenntnisse versprach OB Schneider inzwischen auf Bitte des Stadtrats, dass es zunächst stehen bleibt – zwecks Dokumentation. Mittelalterarchäologe Tillmann Marstaller, mit der Lienzinger Historie in besonderem Maße vertraut, brachte in einem Telefonat mit Günter Bächle nach dessen Angaben die Möglichkeit ins Gespräch, mit seinen Studenten von der Universität Tübingen im Sommer 2022 das „Herzahäusle“ zum Mittelpunkt einer Lehrveranstaltung zu machen. Dazu gehört, in Text, Bild und Zeichnung das Gebäude für künftige Generationen zu erfassen, bevor es der Spitzhacke zum Opfer fällt, führt der Lienzinger Stadtrat an.

Das älteste Dokument über das Gebäude stammt laut Lippik nachgewiesen von 1842 – da ist es neu eingeschätzt worden. Denn weder die bei der Stadtverwaltung lagernde Bauakte ließ Bächle fündig werden (in ihr finden sich nur jüngere Dokumente) noch das Grundbuch, das im Jahr 1900 einsetzt und einen Schlüssel dazu liefert, in anderen Unterlagen anhand der laufenden Nummern zurückzuverfolgen und so möglicherweise weitere Daten zu entdecken.

Aber bereits in der Ur-Karte des Ortskerns von Lienzingen aus dem Jahr 1835 ward dort ein Gebäude eingezeichnet und zwar mit quadratischer Grundfläche und nicht, wie jetzt, einer rechteckigen. Daten zu der Immobilie finden sich laut Lippik im Brandschadens-Versicherungskataster. Jedenfalls stand nach dieser Quelle dort zumindest schon 1842 ein Gebäude, genutzt als Heuhaus. Das gehörte Albrecht Conradt Schray, der es 1846 dem Hafner Jakob Kilian verkaufte, einem Töpfer, der darin 1848 eine Brennhütte einrichtete. An anderer Stelle heißt es in der Rubrik "Beschreibung des Gebäudes oder Grundstückes"  eine einstöckige Hafnerbrennhütte stehe hinter dem Haus "mit Hofraum dabei".

Ein Heuhaus? Wer das für eine Scheune hält, liegt nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Während eine Scheune unterschiedlichen Zwecken diene, so Marstaller, sei anzunehmen, dass das Heuhaus eben für die Lagerung von Heu gedacht sei, das bekanntlich gut belüftet werden müsse, damit sich keine Flammen entwickeln. Heuhäuser seien vor allem aus Klosteranlagen bekannt.

Bei den Angaben zur weiteren Geschichte stützt sich der Stadtrat auf die von der Archivarin entdeckten Dokumente: 1858 gehörte es der Witwe von Jakob Kilian. Anno 1863 kauften Rosine und Luise Dautel das Anwesen aus der "Verlassenschaftsmasse des Jakob Kilian" – mit dem Wiesenplatze. Alles Drum und Dran bezahlten die Dautels 390 Gulden für das gesamte Flurstück mit der Nummer 182/2 einschließlich Bauten. Im Kaufbuch (das ist das allgemeine Verzeichnis aller Kaufverträge, das in der Gemeinde geführt wurde) wird fürs Jahr 1867 vermerkt, dass Rosine Dautel die Hälfte an Luise (ledig) verkaufte.

Jedenfalls ist es seit 1863 als Wohnhaus genutzt worden. So wird es beschrieben: Gebäude – "Ein einstoke Wohnhaus an dem Schmie-Bach." Es war wohl 250 Gulden wert. Jedenfalls gab es zwischen 1891 und 1909 vier Eigentümerwechsel. 1891 von Luise zu Christine Dautel, 1892 Christian Münzinger, 1902 Dürr – Christinas Kinder. 1909 Tagelöhner Wilhelm Zeeb.  Es blieb nicht der letzte Eigentümerwechsel. Ein Gulden war von 1753 bis 1899 etwa zehn Euro wert. Knapp vor der Jahrhundertwende bekam man für einen Gulden zehn Kilogramm Brot oder zwei Kilogramm Rindfleisch.

Nachdem in Lienzingen in den ersten Jahren nach 1945 mehr als 250 Vertriebene ankamen, denen ein Dach überm Kopf verschafft werden musste, wohnten dort nacheinander Familien, die ihre Heimat hatten verlassen müssen, bis sie in eine bessere Unterkunft umziehen konnten.  Maria Herz, inzwischen Witwe, starb 1968. Sie war die letzte Bewohnerin. Seitdem steht das einfach gebaute Häusle leer, an dem allerdings der Zahn der Zeit immer weiter nagt.

Der seinerzeitige, im Hessischen wohnhafte Eigentümer wollte vor knapp 20 Jahren auf dem Grundstück ein neues kleines Wohngebäude anstelle des alten errichten. Dies war in einer Sitzung des zuständigen Gemeinderatsausschusses am 7. Oktober 2003 heftig umstritten, fand aber nach einem Ortstermin dann doch eine Mehrheit, erinnert sich der Lienzinger Bürgervertreter. Die Baugenehmigung ließ der Eigentümer letztlich verfallen. In der Bauvoranfrage von 2003 findet sich für den Gemeinderat, vom damals planenden Architekt Raimund Gottwald zusammengestellt, eine Fotodokumentation der Inneneinrichtung.

Die Stadt Mühlacker ist seit Mai 2918 Eigentümerin, seit sie damals für das rund 900 Quadratmeter große Grundstück ihr Vorkaufsrecht ausübte. Das Anwesen erstreckt sich zwischen Bachweg und Schmiebach. Der Bachweg erinnert an den Bach, der dort verläuft, der aber Mitte der 1960er Jahre bei der Kanalisierung des Dorfes zugeschüttet wurde.

Das Hausgrundstück liegt im Sanierungsgebiet Ortskern Lienzingen. Das Gebäude sei in einem sehr schlechten Zustand und damit abrissreif, steht in der seinerzeitigen Vorlage der Verwaltung. Das unbebaute Flurstück grenzt direkt an. Zur Umsetzung des Hochwasserschutzkonzeptes werden diese beiden Flurstücke für den Bau einer geplanten Hochwasserschutzwand beziehungsweise eines Deichs benötigt, so seinerzeit die Nachricht aus dem Rathaus weiter. Wann der errichtet wird, steht noch nicht verbindlich fest.

Das Herzahäusle, zum Bachweg hin, weist an der rückwärtigen Fassade teilweise Fachwerk auf, beschreibt Stadtrat Bächle den Bau. Zum Grundstück gehöre östlich zur Friedenstraße 26 hin ein kleines Stück Garten, die nach Süden ausgerichtete Freifläche sei weitaus größer. Dort grasen derzeit Ziegen, die der aktuelle Pächter hält. So gesehen: Ein Ziegenstall fehlte bisher noch in der mindestens 180-jährigen Geschichte des kleinen Hauses, die eigentlich erst entdeckt wurde, seit das Ratsmitglied aus dem Stadtteil im Sommer seine Anfrage nach einem Abbruch im Mühlacker Gemeinderat stellte. Erkenntnisse, von denen er selbst, wie er sagt, höchst überrascht war und dies niemals vermutete.

Teilweise Fachwerk in der rückwärtigen Fassade zu sehen.     zoom
 

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